Hund reagiert “scheinbar grundlos” sehr aggressiv, was kann ich tun?

Aggressivität ❯ Gegenüber Menschen
Nonobolo schrieb am 29.09.2022
Hallo!

Ich habe vor knapp 2 Monaten einen Hund von seinem Vorbesitzer übernommen, weil dieser überfordert war. Es ist ein 3 1/2 jähriger Schäferhundmix, der ursprünglich aus dem Tierschutz in Polen kommt und mit 1 1/2 vom Vorbesitzer adoptiert wurde. Der Hund lief zu Beginn immer hinter mir (so eng, dass er meine Beine gestubst hat bei jedem Schritt). In einigen (mir zunächst scheinbar grundlosen) Situationen sprang er dann hinter mir hervor und bellte/ bzw. schnappte nach Personen im näheren Umfeld. Mit der Zeit habe ich gewisse Trigger identifizieren können: Personen von hinten schneiden den eigenen Weg zu eng, jemand, der entgegenkommt baut Blickkontakt auf, generell zu wenig Abstand oder plötzliche Geräusche, Zweiräder die bestiegen werden und Männer in Uniformen. Da ich durch das “hinter mir laufen” nie seine Körpersprache sehen konnte, habe ich begonnen, ihm beizubringen neben mir, leicht versetzt nach hinten zu laufen, damit ich im Zweifelsfall den Fuß dazwischen haben kann und ihn auf Kommando die Seiten wechseln zu lassen. Ich gehe jeglicher Situation, die er als bedrohlich empfinden könnte aus dem Weg und stehe immer zwischen ihm und Leuten/ Hunden, die uns entgegenkommen. Wenn wir auf der Straße unterwegs sind, trägt er Maulkorb, weil sich die Mindestabstände leider zu häufig nicht kontrollieren lassen. Trotzdem schießt er immer noch manchmal nach vorne, wenn jemand vorbeiläuft oder uns entgegenkommt. Wenn wir irgendwo sitzen ist es besonders schlimm. Er liegt dann hinter uns/ in einer Ecke, sodass jederzeit jemand zwischen ihm und Vorbeigehenden ist - trotzdem versucht er sich manchmal unter aggressivem Gebell vorbeizudrücken, wenn ihm jemand komisch vorkommt. Wenn jemand zu unserem Platz dazu stößt, ist die Chance 60%, dass er wenn er ignoriert wird, ruhig bleibt. Meist hole ich die Personen aus einigen Metern Entfernung ab und führe sie zum Platz. Das ich sein Verhalten so schlecht vorhersehen kann, ist natürlich eine Belastung und ich frage mich, ob ich mehr tun könnte, um ihm Sicherheit zu vermitteln. Ich gehe selbstbewusst mit ihm, schicke ihn lediglich auf die richtige Seite, wenn eine potentielle Konfrontation ansteht, aber mache nicht automatisch die Leine auf Anschlag oder so. Es ist trotzdem eine enorme Belastung, die Ruhe zu bewahren und jede Aggressionsattacke (zB wenn jemand einfach nur 3 Meter vor uns an der Ampel steht mit dem Rücken zu uns) ist natürlich anstrengend. Hundebegenungen vermeide ich zudem meist, weil sich herausgestellt hat, dass er erst schnuppert, wedelt, sich beschnuppern lässt (nicht steif wird oder Ähnliches) aber sein Verhalten dann nach 4/5 Sekunden auf einmal in Aggression umschlagen kann, auch wenn der Hund zurückhaltend ist (aufgedrehte Hunde, die keine Grenzen respektieren, vermeide ich völlig). Ein weiteres Problem: Er reagiert mit ernstzunehmendem Gebell auf Leute an der Tür/ auch auf ihm bekannte Mitbewohner, zu denen er innerhalb der Wohnung eine gute Beziehung hat. Sicht Kontakt macht keinen Unterschied. Ich schicke ihn grundsätzlich auf seine Decke wenn es klingelt oder er zur Tür rennt, wenn er den Schlüssel im Schloss hört - und er darf erst in den Rest der Wohnung wenn er sich beruhigt hat. Auf manche Menschen (die ihn alle ignorieren) reagiert er selbst 5 min später nach erstem Schnuppern mit Bellen. Vielleicht kann mir jemand helfen, wie ich mehr Souveränität und Vertrauenswürdigkeit ausstrahlen kann. Ich wäre dankbar, wenn wir irgendwann an einen Punkt kommen, an dem der Hund wesentlich weniger Stress hat. Zur Beschäftigung: ich trainiere mit ihm täglich mit dem Futterbeutel (werfen/ warten/ bleiben/ suchen - dachte das ist nicht schlecht wegen der Impulskontrolle) und mache mit ihm Schnüffelspiele. LG
3 Antworten
Guten Tag,
wau, das ist sehr schwierig, weil Sie alles sehr richtig machen. Ich hoffe, der Hund ist kastriert? Der Hund muss in seinem vorherigen Leben sehr viele schlechte Erfahrungen gemacht haben. Für ihn war wegbellen bisher immer erfolgreich. Wenn Sie gehen, sollte er unbedingt HINTER Ihren Füßen sein. Warum kann er vorpreschen? Sie wissen es ja, also würde ich ihn kurz nehmen. Den Seitenwechsel, alles machen Sie richtig. Ich habe den Text mehrfach gelesen, Sie reagieren immer richtig.
Vielleicht sollten Sie "sedarom" in Erwägung ziehen. Dieses Medikament beruhigt und läßt Hunde mit Situationen besser klar kommen. Sprechen Sie mit Ihrem Tierarzt.
Nehmen Sie ihn in der Wohnung oft an die Leine, nehmen Sie ihn mit zur Tür, HINTER Ihren Füßen, damit er auch hier keine eigenen Entscheidungen mehr treffen muss. Führen Sie immr vorausschauend und den Hund aus jeder Situation hinaus.
Gern können Sie mir noch einmal schreiben, ob ich mit meinen Tipps richtig gelegen habe - Ihr Fall ist nicht einfach,
viele Grüße
Inge Büttner-Vogt
www.hundimedia.de
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Nonobolo | Fragesteller/in
schrieb am 02.10.2022
Hallo Frau Büttner-Vogt,

vielen Dank für Ihre Rückmeldung! Ich bin erleichtert zu lesen, dass ich grundsätzlich auf dem richtigen Weg bin. Und ja, der Hund ist kastriert. Da wir in der Großstadt wohnen und entgegenkommende Passanten trotz Aufforderungen leider nur selten Abstand halten, kommt es häufig vor, dass sich Leute so nah vorbeidrücken, dass er trotz kurzer Leine und auf der anderen Seite sich noch in deren Richtung werfen kann. Er kommt zwar nicht, ich bin mir aber aufgrund der Körpersprache sicher, dass er es ernst meint. Leider schießt er sich auch auf Leute ein, die hinter uns laufen (deshalb habe ich ihn eher neben mir, damit ich sehe, ob er sich umdreht). Ich werde mit dem Tierarzt bezüglich solcher Optionen sprechen, das ist eine tolle Anmerkung. Den Tipp mit der Leine in der Wohnung nehme ich dankbar an, darauf bin ich bisher noch nicht gekommen. Vielen Dank für Ihre Mühe. Ich bleibe einfach weiter dran, schließlich dauert das ganze vermutlich auch einfach - ich wollte mir nur sicher sein, dass ich das Ganze nicht monatelang falsch angehe und ihn am Ende unbewusst verstärke.

Danke und viele Grüße
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Guten Abend,
das freut mich sehr, dass ich mit meiner Antwort richtig lag. Versuchen Sie in Zukunft zu vermeiden, dass sich jemand vorbeidrückt. Wenn Sie in der Stadt gehen, hat Ihr Hund Stress, der sich ständig aufbaut, deshalb gehen Sie Bögen und Kreise, wechseln Sie die Seite, gehen hinter ein Auto - lassen Sie ihn arbeiten und Ihnen folgen. Überlegen Sie, wie Sie Hindernisse umgehen können und Ihren Hund nicht zwingen zu reagieren, seien Sie immer ein bisschen fixer...
viele Grüße
Inge Büttner-Vogt
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