Tierschutzhund (kastrierter Rüde, 9 Monate) ist eine einzige Baustelle

Hundetrainer-Sprechstunde
Ramona H. schrieb am 24.06.2024
Guten Abend,

ich habe seit Samstag (15.06.) einen Tierschutzhund aus Rumänien.

Aufgrund seiner Unsicherheit reagiert er jedem Menschen und Hund gegenüber aggressiv mit knurren, bellen, schnappen und wäre er nicht immer angeleint vermutlich auch beissen (das hat mir mein Hundetrainer bestätigt)
Auch nach meinem Freund hat er bereits diverse Male geschnappt, obwohl dieser sich wie vom Hundetrainer empfohlen, richtig verhält (bedrängt ihn nicht, kein Blickkontakt, kein streicheln usw...)
Ich als sein Frauchen bin die einzige Person, die er zu akzeptieren scheint und sich auch streicheln lässt.
Kinder taxiert er immer eine halbe Ewigkeit und ich bin in dauerhafter Sorge, dass etwas passieren könnte. Selbstverständlich habe ich ein Sicherheitsgeschirr und bin gerade an der Maulkorbgewöhnung.

Ebenfalls hat er sich noch nicht ein einziges Mal draussen gelöst, sondern immer nur in der Wohnung. Ich wohne in der Stadt und habe auch keine Grünfläche in der Nähe, die ruhig gelegen ist und der Hund sich entspannen kann. Raustragen, wenn er mit urinieren startet würde auch nicht klappen, da die Grünfläche so schnell dann auch nicht zu erreichen ist und der Hund 20kg wiegt.

Ausserdem hat er extreme Verlustängste und ich kann nicht mal für einen Toilettenbesuch die Türe schliessen, ohne dass er mir die ganze Türe verkratzt und laut bellt und winselt.
Laute Geräusche erschrecken ihn und werden ebenfalls immer mit bellen kommentiert.

Ich bin im Dauerstress und habe auch keinen, der mich auch nur mal eine halbe Stunde ablösen könnte. Ich kann nicht mehr alleine einkaufen gehen und bin sozial völlig isoliert, da meine Freunde Angst haben mich zu treffen, geschweigedenn zu Besuch zu kommen, nachdem ich ihnen vom Verhalten meines Hundes berichtet habe.

Ab September muss ich wieder 3x die Woche ins Büro und hatte ursprünglich angedacht, einen Hundesitter für die Umgewöhnungsphase zu engagieren.
Da der Hund aufgrund seiner Unsicherheit jedoch beissen würde und auch keine Anwesenheit eines Fremden akzeptiert, fällt diese Option dann wohl weg.

Die Organisation hatte im Vertrag zwar die fehlende Stubenreinheit erwähnt (womit ich auch gerechnet habe), aber von einem Angsthund bzw. Bissigkeit stand nicht geschrieben. Stattdessen hiess es, dass sich der Hund mit allen Menschen und Hunden im Tierheim in Rumänien "bestes verstanden" hat und "absolut aufgeschlossen" ist. Nichts davon trifft auf diesen Hund zu.

Ich bin unglaublich verzweifelt und weiss nicht mehr weiter!!! Habt ihr irgendwelche Tipps für mich?

Danke und liebe Grüsse
Ramona
1 Antwort
Hallo Ramona,

danke für Deine Nachricht.

Hunde aus dem Tierschutz sind oftmals Überraschungspakete und es läuft nur selten so "romantisch" ab, wie man sich das anfangs vielleicht vorgestellt hat.

Mir kommt es auch so vor, dass ihr leider an einen Verein geraten seid, der nicht so seriös ist, denn ansonsten hätte man Euch darüber aufgeklärt, dass die Hunde sich im Shelter häufig anders verhalten, als dann im neuen Zuhause:
Vieles ist für sie neu, sie kennen unsere Welt/ unseren (hektischen) Alltag nicht und manche sind das Leben in einem Zuhause gar nicht gewohnt.
Da prasselt ganz schön viel auf so einen Hund ein und dann ist es doch nur verständlich, dass dieser erstmal komplett überfordert ist …

Hinzu kommt, dass eine Kastration mit nur 9 Monaten eigentlich zu früh ist, da sich der Hund noch mitten in der Pubertät befindet. Das Hirn (und auch der Körper) ist da noch gar nicht richtig ausgereift, was das Training natürlich beeinflussen kann.

Dass Euer Hund heftig auf Deinen Freund reagiert ist leider auch keine Seltenheit bei Hunden aus dem Tierschutz, denn es sind meist Männer, mit denen sie in ihrer Heimat eher negative Erfahrungen gemacht haben.

Natürlich ist das alles ganz schön viel und kann sehr belastend sein – zumal Eure Realität nun extrem von Eurer Vorstellung von Leben mit Hund abweicht.

Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn ihr Euch einen Verhaltensberater oder eine Verhaltensberaterin vor Ort sucht. Oder Trainer*innen, die auf die Arbeit mit TS-Hunden spezialisiert sind.
Da der Hund erst zwei Wochen da ist, finde ich es persönlich zu früh, ihn als "hoffnungslosen" Fall abzustempeln. Es braucht oftmals 3 bis 12 Monate, bis Hunde aus dem TS so richtig im neuen Zuhause ankommen.

Aber natürlich solltet ihr auch Eure Bedürfnisse nicht komplett vergessen und so ehrlich wie möglich einschätzen, ob ihr bereit seid für diesen längeren Trainingsweg mit Eurem Hund.


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