Gehe ich richtig mit der Angst meiner Hündin um?

Angst ❯ Vor Menschen
Katrin T. schrieb am 24.03.2018
Hallo :-)
Ich lebe seit nun zwei Monaten mit meiner Hündin zusammen. Ich hatte sie letztes Jahr im Januar als 1-2 Monate alten ausgesetzten Welpen in der Nähe eines Tempels auf Sri Lanka gefunden. Sie war sehr klein und höchst unterernährt, hatte Parasiten, Flöhe und eine Hautpilzkrankheit. Ich habe sie nach fünf gemeinsamen Tagen, in denen ich mit ihr beim Tierarzt war, von den Flöhen und Parasiten befreit und aufgepäppelt habe, in eine Auffangstation (keine Käfige, Tiere leben auf einem riesigen Grundstück in von der deutschen Besitzerin zusammengestellten Rudeln) gebracht, in der ca. noch 250 Hunde sowie Katzen lebten.
Dort hat sie also ein knappes Jahr verbracht, bis wir endlich wieder vereint wurden (sie kam per Flugpatenschaft nach Deutschland). Ich hatte die Info, dass sie wohl im November ein paar Tage nichts gefressen hatte, sie ist wohl krank gewesen (was genau ist unbekannt) und hat in der Zeit gesondert bei der Besitzerin im Schlafzimmer geschlafen. Danach sei sie wie ausgewechselt gewesen, hat stark gefremdelt und kaum jemanden an sich heran gelassen. Diesen Eindruck machte sie auch auf mich, als ich sie am Flughafen entgegennahm.
Zuhause jedoch, sprang sie sofort zu mir auf die Couch und kuschelte sogar wenig später mit mir.
Das Problem ist nun das folgende:
Sie bellt aus Angst fremde Menschen an. Meistens drinnen, vor allem natürlich in meiner Wohnung, aber auch in dem Büro, in dem ich arbeite und sogar auch die Menschen dort, die sie mittlerweile eigentlich kennen sollte. Sie versucht diese richtig zu vertreiben. Draußen ist es neuerdings auch schon ein paar Male passiert. Ich weiß in diesen Momenten nicht so recht, was ich tun soll. Bisher habe ich es immer so gut es geht ignoriert, da ich sie nicht in ihrem Verhalten bestärken wollte, jedoch habe ich nun gelesen, dass man in den Momenten doch eingreifen sollte (sie hört auch ewig nicht auf zu bellen) und zu versuchen, dem Hund das Gefühl zu geben, dass man ihn beschützt und die Sache unter Kontrolle hat? Jedoch frage ich mich dann, ob ich sie nicht dann auch in ihrer Angst bestärke? Auch andere Hunde lässt sie nicht an sich ran, sie knurrt und bellt diese an und vertreibt sie ebenso wie (fremde) Personen.
Auch beim Gassi gehen ist sie noch immer unsicher (was aber schön viel besser geworden ist). Ich halte sie an einer zwei Meter langen Leine und sie läuft auch vor mir. Wenn ich sie an kurzer Leine halte und neben mir bzw. hinter mir laufen soll, zieht sie so sehr, dass ich sie kaum halten kann. Ich war schon einmal in einem Gespräch mit einer Hundetrainerin, die meinte, dass meine Hündin überhaupt kein Selbstbewusstsein habe und ich sie ruhig vor laufen lassen könnte, ich jedoch denke mir immer, dass meine Hündin damit ja die Rolle des Rudelführers übernimmt und sich somit aus meinem Schutz, der ihr ja eigentlich Sicherheit geben soll, entfernt. In Situationen, die ihr nicht geheuer sind, kommt sie jedoch auf meine Höhe oder geht hinter mir weiter bis wir an der "Gefahr" vorbei sind.. ich bin einfach total verunsichert, ob ich mit ihrer Angst richtig umgehe. Ob ich ihr zu viel zumute (ich fahre z.B. Straßenbahn mit ihr (wo sie sich jedoch nach kurzer Zeit entspannt und schläft), gehe über die ein oder andere größere Kreuzung mit ihr oder habe öfters Besuch) und ob ich ihr vielleicht anders besser ihre Angst - vor allem vor Menschen - nehmen kann. Sollte ich sie mehr schonen? Mute ich ihr zu viel zu? Wie sollte ich mich in den Situationen, in denen sie vor Angst wild bellt, am besten verhalten? Und ist es okay, dass sie momentan nicht neben mir, sondern vor mir läuft? Fragen über Fragen, es wäre toll, von Ihnen zu hören. Danke schon mal! :-)
5 Antworten
Ellen Mayer | Hundetrainer/in
schrieb am 25.03.2018
Hallo,
wie Sie richtig erkannt haben, führt ein Hund, der vorne läuft, das Rudel an. Ein ängstlicher Hund gewinnt dadurch kein Selbstbewusstsein sondern ist im Gegenteil, mit dieser Rolle vollkommen überfordert. Daher auch das Bellen. Sie will die angsteinflößenden Personen weil Sie ja nichts tun, aus ihrer Sicht. Wahrscheinlich fühlt sie auch Ihre Unsicherheit was die Angst der Kleinen noch mehr verstärkt.
Arbeiten Sie aus dem Grund an der Leinenführigkeit. Folgen Sie nie der Hündin, wenn sie zieht, auch nicht, wenn sie wo schnuppern, sich lösen oder zu Bekannten will. Wenn sie einmal Erfolg hatte, müssen Sie wieder von vorne mit dem Training anfangen. Bleiben Sie stehen, bis die Leine wieder locker ist (das braucht etwas Geduld) oder, wenn Ihre Hündin richtig feste zieht, drehen Sie um und gehen zurück.
Am besten reagieren Sie schon, wenn sie versucht, Sie zu überholen. SOFORT umdrehen und zurückgehen und zwar jedesmal.
Oft liegt das Ziehen auch an der Art, wie die Leine gehalten wird. Meistens wird die Leine zu kurz gehalten, mit Zug. Zug erzeugt Gegenzug, der Mensch zieht weil der Hund zieht und der Hund zieht immer mehr dagegen. Der Hund kann diesen Kreislauf nicht lösen, das kann nur der Mensch.
Meistens kann ein Hund sich auch nicht konzentrieren. Man kommt aus der Haustür und schon soll der Hund, ohne sich ausgepowert oder gelöst zu haben, locker an der Leine gehen. Die Leinenführigkeit sollte immer nur zwischendurch geübt werden, zuerst darf der Hund laufen und schnuppern, dann wieder 10 Minuten üben u.s.w.. Erst, wenn das immer besser funktioniert, wird es irgendwann gefestigt sein und der Hund läuft immer und überall an lockerer Leine. Üben, egal was, sollte man nie im Ernstfall sondern immer entspannt und gezielt.
Arbeiten Sie auch am Grundgehorsam. Setzen Sie Kommandos ruhig und souverän, mit viel Geduld, durch. Auch das gibt der Kleinen Sicherheit. Sie kann sich dann auf Sie verlassen.
Ich hoffe, Ihnen mit der Antwort etwas weitergeholfen zu haben. Für weitere Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Viel Erfolg..
Ellen Mayer
www.lesloups.de
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Katrin T. | Fragesteller/in
schrieb am 28.03.2018
Liebe Frau Mayer,
vielen lieben Dank für Ihre Antwort! Wir üben nun an der Leinenführigkeit. Wir waren einige Tage in einem kleineren Ort bei meinen Eltern und seit dem findet sie, glaube ich, Düsseldorf noch viel schrecklicher als vorher. Sie will überhaupt nicht spazieren gehen, bleibt stehen und wehrt sich mit aller Kraft weiterzugehen. Ich versuche sie zu motivieren, aber Leckerlies oder Spielzeug interessieren sie vor lauter Angst natürlich überhaupt nicht. Meistens muss ich sie dann ein Stück tragen und dann geht sie auch weiter. Ist das mit dem Tragen ok oder bestätige ich damit ihre Angst?
Sie sagten, dass wenn sie zu sehr zieht, ich mit ihr zurück gehen soll. Ganz zurück nach Hause und es ein wenig später noch mal versuchen oder nur ein Stück des Weges zurück und dann wieder umdrehen?
Und wie reagiere ich am besten in den Situationen, wo sie bellt? Ignoriere ich es weiterhin und belohne sie, wenn sie still ist? Oder wie soll ich mich am besten verhalten? Soll ich mit den Menschen, die ihr Angst machen, in irgendeiner Art und Weise interagieren? Kann ich ihr noch auf eine andere Weise in diesem Moment deutlich machen, dass ich mich um die "Gefahr" kümmere und sie mir vertrauen kann oder kommt das dann mit der Zeit, wenn sie verstanden hat, dass ich Rudelführerin bin? Kommandos wie Sitz, Platz, Pfote, Spiel tot, Schau hat sie schon drin und die wiederholen wir auch täglich. Ich hatte mir eigentlich (vor dem Wiedersehen) vorgenommen, mit ihr die Methode des Amichien Bondings anzuwenden, mir wurde jedoch auf Grund ihrer Angst davon abgeraten. Nun, wo ich aber auch höre, dass ich eine Fehlinformation bezüglich des Vorlaufens an der Leine bekommen habe, wollte ich auch noch mal Sie fragen, ob ich nicht mit dem Amichien Bonding auch meine Rudelführerrolle zusätzlich etablieren kann? Oder ist meine Hündin dafür wirklich noch nicht weit genug?

Viele Grüße!
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Ellen Mayer | Hundetrainer/in
schrieb am 28.03.2018
Hallo,
wenn Sie versuchen, einen Hund, der Angst hat, mit Leckerchen oder Spielzeug zu locken, führen Sie ihn nicht. Stellen Sie sich einfach mal vor, Sie haben fürchterlich Angst vor etwas, z. B., es brennt und Sie sollen durch das Feuer. Wem würden Sie eher folgen: dem, der versucht, Sie mit Schokolade oder einem tollen Buch zu locken oder dem, der ruhig und souverän voraus geht und Ruhe ausstrahlt?
Wenn Sie die Hündin tragen, kann das tatsächlich die Angst verstärken. Sie muss ganz einfach lernen, sich mit der Angst auseinanderzusetzen, nur dann kann sie mit der Zeit erkennen, dass sie unnötig ist.
Versuchen Sie es einmal, indem Sie ihr den Rücken zudrehen und die Leine ganz leicht auf Spannung lassen. Wenn Sie merken, dass die Hündin nachgibt und die Leine locker wird, gehen Sie weiter. Wenn sie stehen bleibt, wieder das selbe. Es dauert am Anfang natürlich, bis Sie von der Stelle kommen, wird mit der Zeit aber besser. Auch das gehört zur LeinenFÜHRIGKEIT. Sie führen den Hund.
Wenn die Hündin zu sehr zieht, gehen Sie so lange in eine andere Richtung, bis sie wieder versucht, Sie zu überholen. Auch das kann dauern und evtl. kommen Sie nicht vorwärts. Aber halten Sie durch, aller Anfang ist schwer und in den zwei Monaten bei Ihnen hat sich das jetzt gezeigte Verhalten in der Hündin schon ziemlich gefestigt.
Wenn sie Angst vor Personen hat, unterhalten Sie sich ganz normal, bitten aber die Leute, die Hündin zu ignorieren. Hilfreich wäre, wenn Sie regelmäßig mit solchen, eingeweihten Leuten üben könnten.
Wenn sie bellt, gehen Sie auch dann zurück, bis sie sich beruhigt hat und dann wieder in die andere Richtung. Wenn sie wieder bellt, das Ganze von vorne. Auch das wird dann mit der Zeit besser.
Mit Amichien Bonding habe ich mich nur am Rande beschäftigt und gedacht: Ach, wieder eine neue Methode. Ich muss gestehen, keine Freundin von diesen "Methoden" in der Hundeerziehung zu sein. Jeder Hundetrainer hat seine eigene, ganz "neue" Methode, nach der er arbeitet, manche ok, andere weniger. Tatsache ist, dass Hunde sehr verschieden sind, man ganz sicher nicht alle Hunde gleich erziehen oder ausbilden kann.
Deswegen ist es auch so schwer, bei stärkeren Problemen mit Hunden online und aus der Entfernung Ratschläge zu geben. Evtl. würde ich Ihnen etwas ganz anderes raten, wenn ich Sie und die Kleine vor Ort zusammen sehen würde :-)

Liebe Grüße
Ellen Mayer
www.lesloups.de
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Katrin T. | Fragesteller/in
schrieb am 28.03.2018
Liebe Frau Mayer,

ich danke Ihnen für die schnelle Antwort. Ich sehe ein, dass es schwierig ist, über das Internet Ratschläge zu geben. Ich habe mich wie gesagt mehrfach mit einer Trainerin getroffen. Diese riet mir wie gesagt dazu, meine Hündin vorlaufen zu lassen, ebenso wie ihr so viel Nähe und Zuneigung wie möglich zu geben, weswegen sie auch bei uns im Bett schläft und sich da auch die meiste Zeit aufhält - was meines Erachtens auch nicht förderlich sein kann, aber dachte ich höre auf den Profi..
Ich rede von Situationen, wo sie drinnen bellt. Wir sind zum Beispiel grade wieder im Büro und sie verbellt die anderen drei Menschen, die hier arbeiten. Wie soll ich mich verhalten..?!

Viele Grüsse!
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Ellen Mayer | Hundetrainer/in
schrieb am 28.03.2018
Wo befindet sich die Hündin im Büro? Wie reagieren die Personen? Wie reagieren Sie?
Nähe und Zuneigung ist natürlich nie schlecht. Allerdings sollten Sie nie auf Forderungen eingehen. Wenn Sie die Hündin bestimmen lassen, hat sie wiederum das Gefühl, führen zu müssen.
Auch ins Bett darf sie, allerdings nur, wenn Sie es erlauben und sie ausdrücklich rufen.

Liebe Grüße
Ellen Mayer

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