Geschrieben von Hundetrainerin Stephanie Becker.
Glückliche Eltern, zufriedene Kinder und ein Hund, der sich einfach nur wohlfühlt: Für viele Menschen ist das die perfekte Familienidylle. Doch leider sieht es in den meisten Fällen anders aus: Der Hund scheint nicht wirklich Lust auf die Kleinen zu haben und schnappt zu. Dabei stand doch sogar in der Rassebeschreibung, dass der Vierbeiner der perfekte Familienhund ist! Wie kann es also sein, dass er dennoch nach den Kindern schnappt?
Inhaltsverzeichnis:
- Den perfekten Familienhund gibt es nicht
- Hunde sind keine Babysitter: Lassen Sie Kind und Hund nie allein!
- Kiss to dismiss: Hunde zeigen deutlich, wenn ein Kind ihnen zu nahe kommt
- Schmerzen beim Hund: ein unterschätzter Faktor
- Kind und Hund: Trainingsansätze für ein harmonisches Miteinander
Den perfekten Familienhund gibt es nicht
Vorweg sei gesagt, dass es den „perfekten Familienhund“ nicht gibt. Auch (Rasse-)Beschreibungen, in denen steht, der Hund sei „absolut kinderfreundlich“, stimmen schlichtweg nicht. Denn: Kein Hund kommt auf die Welt und liebt Kinder. Jeder Hund, egal ob Golden Retriever oder Mischling aus dem Tierschutz, muss erst an Kinder gewöhnt werden. Die individuellen Charaktereigenschaften des Hundes sowie seine bisherigen Erfahrungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sicherlich gibt es Hunde, die sich durch eine hohe Toleranz und Geduld auszeichnen. Aber nur, weil sie über diese verfügen, muss sie nicht regelmäßig im Zusammenleben mit Kind ausgereizt werden.
Hunde sind keine Babysitter: Lassen Sie Kind und Hund nie allein!
Auch wenn es leider gelegentlich Nachrichten darüber gibt, dass ein Hund ein Kind auf dem Spielplatz angefallen hat, passieren die meisten Beißvorfälle statistisch gesehen zu Hause im familiären Umfeld. Aber warum ist das so?
Vermutlich liegt es daran, dass viele Menschen denken, der eigene Hund müsse das Kind lieben – schließlich gehört es zur Familie und in der Familie herrscht Harmonie. Doch der Hund hat nie nach Zuwachs gefragt oder sich entschieden, dass er in einer Familie mit kleinen Kindern leben möchte. Ihm dann die Verantwortung zu übertragen und vorauszusetzen, dass er sich mit der Situation arrangiert und „dankbar“ ist, in der „perfekten Familie“ gelandet zu sein, ist unfair und unverantwortlich.
Die goldene Regel lautet daher: Kind und Hund niemals allein lassen! Auch wenn der Hund noch so lieb ist und man ihm vertraut. Denn oft reicht eine unaufmerksame Sekunde und schon ist es passiert: Der Hund hat nach dem Kind geschnappt. In den meisten Fällen geschieht dies nicht plötzlich. Hunde haben eine sehr subtile Körpersprache, die selbst Erwachsene nur schwer verstehen oder falsch interpretieren. Dass Kinder diese richtig deuten, ist daher beinahe unmöglich.
Kiss to dismiss: Hunde zeigen deutlich, wenn ein Kind ihnen zu nahe kommt
Ein Paradebeispiel für missverstandene Körpersprache von Hunden ist der sogenannte „Kiss to dismiss“ (dt. „Küsschen für mehr Distanz“), auch als Distanzlecken bekannt. Vor allem in den sozialen Medien sieht man häufig Videos von Hunden, die Kinder vermeintlich fürsorglich ablecken. Eltern geht bei diesem Anblick das Herz auf. Doch der Hund bittet in solchen Situationen durch das Lecken höflich um Abstand, denn meist leckt er hektisch und hat dabei zusätzlich die Ohren angelegt und geweitete Augen. Für Hunde deutliche Warnsignale, aber für Menschen nur schwer zu erkennen. Insbesondere, wenn sie durch ihre Gefühle in die Irre geleitet werden – wünscht man sich doch so sehr, dass Kind und Hund beste Freunde fürs Leben werden. Wird diese freundliche Bitte des Hundes nach Abstand jedoch zu oft ignoriert, wird er diesen künftig deutlicher einfordern: Indem er knurrt oder schnappt.
Vor allem Hunde, die einen eher langen Geduldsfaden haben, neigen dazu, sofort nach vorne zu gehen, wenn ihre Individualdistanz zu oft und zu lange überschritten wurde.
Beispielsweise durch Umarmungen des Kindes, „spielerisches“ an der Rute ziehen oder das gemeinsame Kuscheln im Körbchen. Natürlich sollten all diese Dinge vermieden werden, aber insbesondere der Rückzugsort des Hundes ist für Kinder eine absolute Tabuzone. Der Hund soll wissen, dass er dort wirklich seine Ruhe hat und dorthin gehen kann, wenn ihm alles zu viel wird. Wird auch diese Grenze regelmäßig überschritten, führt dies zu Stress, der sich im schlimmsten Fall durch Schnappen äußert.
Schmerzen beim Hund: ein unterschätzter Faktor
Missverstandene Körpersprache ist aber nur einer von vielen Gründen, warum ein Hund nach einem Kind schnappt. Aufgrund ihrer eher unbeholfenen Art und unvorhersehbaren Bewegungen sind Kinder für viele Hunde nur schwer einzuschätzen. Die kleinen Menschen bereiten ihnen Angst, die sich bei Hunden nicht selten durch Aggressionsverhalten äußert. Eine gute Sozialisierung kann dem entgegenwirken, zum Beispiel, indem man sich mit dem Hund öfter in die Nähe eines Kinderspielplatzes setzt und ihn belohnt, wenn er sich ruhig verhält. Es ist auch möglich, mit dem Hund zu spielen oder ihn Futter im Gras suchen zu lassen. Er soll dadurch lernen, dass Kinder nicht automatisch etwas Schlechtes bedeuten.
Es gibt aber noch einen weiteren Faktor, der einen Beißvorfall begünstigen kann: Der Hund hat Schmerzen. Hunde sind wahre Meister darin, zu verbergen, wenn sie Schmerzen haben. Dennoch merkt man es meist daran, dass sie in bestimmten Situationen gereizter reagieren als sonst. Vor allem ältere Hunde haben häufig Gelenkprobleme. Da reicht es aus, wenn ein Kind unbeabsichtigt einen empfindlichen Bereich am Rücken berührt und schon schnappt der Hund aus Reflex zu.
Auch Stress kann bei Hunden zu schmerzhaften Verspannungen führen. Daher ist es sinnvoll, den eigenen Hund regelmäßig abzutasten und mit ihm gegebenenfalls zur Physiotherapie zu gehen.
Kind und Hund: Trainingsansätze für ein harmonisches Miteinander
Beachtet man die bereits im Artikel erwähnten Hinweise, minimiert sich das Risiko für einen Hundebiss beim Kind auf jeden Fall. Aber natürlich gibt es noch weitere Möglichkeiten, ein sicheres Umfeld für Kind und Hund zu schaffen:
Je nach Alter des Kindes kann man ihm auf jeden Fall einen respektvollen Umgang mit dem Hund erklären, schließlich ist er ein Lebewesen und kein Spielzeug. Ebenso kann man auch dem Hund immer ein positives Feedback geben, wenn er sich in Anwesenheit des Kindes ruhig verhält.
Gemeinsame Aktivitäten können zudem das Verhältnis zwischen Kind und Hund verbessern. Wenn möglich, sollte das Kind ab und zu beim Gassigehen dabei sein – die Leine hält natürlich trotzdem ein Erwachsener. Ältere Kinder können auch gerne einfache Aufgaben im Zusammenleben mit dem Hund übernehmen, wie beispielsweise das Füttern oder das Erlernen von Tricks. So wächst auch das Verantwortungsbewusstsein. Weitere Tipps finden Sie auch in diesem Artikel.
Am wichtigsten sind jedoch Geduld und Verständnis. Gerade wenn ein Hund bislang allein mit seinen Menschen gelebt hat und plötzlich ein Kind in die Familie kommt, braucht es einfach Zeit, bis er sich an die neue Situation gewöhnt hat. Rechtzeitig den Rat von geschulten Trainerinnen und Trainern vor Ort einzuholen, kann definitiv auch nicht schaden. Dann sollte einem harmonischen Miteinander nichts mehr im Wege stehen.