Jörg Schlüter ist Gründer der Hilfsorganisation TIER-NOTRUF.de. Seit 2015 ist er mit seinem Team zur Stelle, wenn Ihr Liebling im Notfall schnell versorgt werden muss und Sie z.B. nicht die Möglichkeit haben, das Tier in die nächstgelegene Tierklinik zu transportieren. Aber auch viele andere Aufgaben wie die Unterstützung bei Großschadensfällen beispielsweise beim Brand eines Schweinestalls oder der Katastrophenschutz mit Beteiligung von Tieren gehören zu den vielfältigen Einsätzen des Tier-Notrufs.


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Zur Tiernotrettung


Wie kamen Sie auf die Idee den Tier-Notruf ins Leben zu rufen?

2015 sah ich auf der Autobahn, wie aus einem fahrenden Auto ein Katzenbaby geworfen wurde. Ich konnte gerade noch verhindern, es selbst zu überfahren, aber leider auch nichts tun. Das war der Auslöser, eine Tierrettung zu gründen.

Welchen Tieren können Sie helfen?

Wir helfen primär Haustieren, hier überwiegend Hunden und Katzen. Ab und an kommen Einsätze mit Meerschweinchen und Kaninchen hinzu. Bei Wildtieren können wir die Sicherung übernehmen, vor Ort ist ansonsten meist wenig machbar. Handelt es sich um Wildtiere, die dem Jagdrecht unterstehen, übernimmt der Jagdpächter die Situation.

Was war bisher das exotischste Tier, dem Sie geholfen haben?

Das „exotischste“ Tier war dieses Jahr ein Hirsch, der sich in einem Zaun verfangen hatte. Mit mehreren Personen gelang es glücklicherweise den Hirsch zu befreien. Die Situation war jedoch nicht ganz ungefährlich, da keine Möglichkeit besteht das Tier ruhig zu stellen und man vor dem Geweih achtgeben muss.

In welchen Situationen können Tierbesitzende beim Tier-Notruf anrufen?

Grundsätzlich bei allen medizinischen Notfällen mit einem Tier. Insbesondere aber natürlich, wenn eine schnelle Behandlung nötig ist wie bei epileptischen Anfällen, Schlaganfällen, Kreislaufstillstand, schweren Bissverletzungen oder vom Auto angefahrenen Tieren.

Was sollten Tierbesitzende wissen, wenn Sie bei Ihnen anrufen?

Tierbesitzer sollten vor allem versuchen, ruhig zu bleiben und die Situation genau schildern, damit wir uns am Telefon ein gutes Bild von der Lage machen können. Eine Diagnose können wir nicht stellen ohne das Tier zu sehen. Dies ist auch Aufgabe der Tierärztin oder des Tierarztes. Auch vor Ort können wir in ein Tier nicht hineinsehen. Jedoch können wir die Situation einschätzen und somit entsprechende Maßnahmen einleiten. Außerdem können wir vor Ort Wunden versorgen, im Auto überhitzte Tiere kühlen oder unterkühlte Tiere wärmen.

Wie häufig wird der Tier-Notruf in Anspruch genommen?

Das ist tatsächlich jahreszeitenabhängig. In den Wintermonaten ist es eher ruhiger, in den Sommermonaten häufen sich Einsätze, was mit dem guten Wetter zu tun hat. Dann können es schon mal drei bis fünf Einsätze am Tag werden. Corona hat aber die Lage drastisch verändert und es ist erheblich ruhiger seit Beginn der Pandemie.

Wo sind die Grenzen des Tier-Notrufs?

Als nichttierärztliches Personal dürfen wir keine Medikamente geben. Daher liegen die Grenzen oft darin, dass wir das Tier nicht ruhigstellen können, um es zu behandeln. So bleibt dann doch wieder „nur“ der Transport in der Box. Auch sind uns natürlich vor Ort die Hände gebunden, was eine Einschätzung der Krankheitsursache angeht. Wir können keine Blutuntersuchungen machen und haben weder Ultraschall noch Röntgen auf den Rettungswagen. Deshalb beschränken sich unsere Maßnahmen immer auf die Notfallversorgung. Dazu gehören unter anderem Reanimationsmaßnahmen und falls nötig die Intubation eines Tieres zur künstlichen Beatmung. Außerdem ist auch ein EKG-Gerät im Rettungswagen vorhanden, um die Herzfunktion zu überprüfen und zu überwachen.

Wie sieht der typische Ablauf eines Arbeitstages beim Tier-Notruf aus?

Neben einem regelmäßigen Check des Fahrzeuges sowie Auffüllen von Materialien, Fahrzeugpflege und Checken der Gerätschaften besteht der Alltag aus „Warten“ auf den nächsten Einsatz.

Welcher Fall ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Zwischenzeitlich sind es einige Einsätze, die in Erinnerung bleiben. Tatsächlich ist es aber immer der eine Einsatz am 1. August 2015. Die Seenotrettungsleitstelle in Bremen rief an, ob wir nachts einen Hund mit Magendrehung am Anleger übernehmen könnten, der von der Insel rüber kam. Der Hund wurde in letzter Minute auf den OP-Tisch gelegt und verstarb erst 2020 altersbedingt.

Auf welche Schwierigkeiten stoßen Sie manchmal bei der Tierrettung?

Leider kann man einem Tier nicht erklären, dass man helfen will. Deshalb sind Tiere oftmals abwehrbereit, weil sie Schmerzen oder Angst haben. Das macht die Arbeit nicht immer einfach. Die Besitzer:innen sind eigentlich immer einfach nur dankbar, dass jemand hilft.

Sind Sie und die Mitarbeitenden beim Tier-Notruf alle ehrenamtlich? Was motiviert sie?

Der überwiegende Teil des Kollegiums arbeitet ehrenamtlich, wenige auf Minijobbasis. Aber alle wollen das Gleiche: Tieren helfen.

Welche Qualifikation bringen Ihre Mitarbeitenden mit?

Bei uns werden alle Mitarbeitenden in unserer eigenen Akademie zu Tierunfall- bzw. Tiernotfallsanitätern ausgebildet. Oft kommen die Mitarbeitenden aus dem Bereich der Humanrettung oder auch aus den Tierheimen. Die Akademie hat eine Ausbildung zusammen mit Tierärzten entwickelt. Sie umfasst einen umfangreichen theoretischen Teil und einen praktischen Kurs, der zum Beispiel Reanimationsmaßnahmen, Verbandstechniken, Sicherung von Tieren und die Versorgung von Stichverletzungen vermittelt. Am Ende wird eine theoretische Prüfung und eine praktische Prüfung unter Aufsicht eines Tierarztes abgelegt.

Was sind Ihre Ziele?

Am liebsten würden wir bundesweit Tierrettungsdienste anbieten. Leider fehlt es aber Tierrettungsdiensten noch viel zu sehr an der Akzeptanz, insbesondere in Politik und bei den Behörden. Oft werden Tierrettungsdienste nur belächelt und die Ernsthaftigkeit der Sache nicht gesehen.

Wie kann man die Arbeit des Tier-Notrufs unterstützen?

Den Tier-Notruf kann man vielseitig unterstützen. Entweder durch aktive Mitarbeit, durch einmalige Spenden, eine Fördermitgliedschaft oder auch „nur“ durch eine Weiterempfehlung.

Das Interview führte Viola Wroblewski.

Foto: © TIER-NOTRUF.de Jörg Schlüter