Ein Interview von Annika Grunert

Wenn ein geliebter Mensch oder Vierbeiner stirbt, hinterlässt das Spuren. Tiefe Trauer bringt die Gefühlswelt und den Alltag durcheinander – ein normales Leben erscheint unmöglich. Eine Trauerbegleitung kann dann hilfreich sein. Die Pädagogin und Fachkraft für tiergestützte Intervention Ingrid Littmann hat über 16 Jahre Erfahrung im Bereich Trauerbegleitung von Kindern, Jugendlichen und Familien. Ihre damalige Hündin Laika begleitete sie oft und so merkte Ingrid Littmann schnell, dass Tiere eine große Hilfe beim Verarbeiten der Trauer sind.

Deshalb gründete sie mit Gleichgesinnten 2015 den gemeinnützigen Verein „LAIKA – Trost auf vier Pfoten“, der mittlerweile aus zwei hauptamtlichen und acht ehrenamtlichen Trauerbegleitern besteht. Auf dem Begegnungs- und Gnadenhof im "Dorf Sentana" in Bielefeld unterstützen sie mit zahlreichen Tieren Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien. Ich habe mit Ingrid Littmann über ihre Arbeit bei der Trauerbegleitung mit Tieren gesprochen.

Inhaltsverzeichnis:

Wer kann sich bei Ihnen melden?

Bei uns können sich Familien melden, wenn jemand schwer erkrankt oder verstorben ist. Das kann zum Beispiel ein Familienangehöriger sein oder der geliebte Tiergefährte. Es war klar für mich, dass bei unserem Verein beides dazugehört: Seitdem ich in dem Bereich tätig bin, habe ich nämlich stets erlebt, dass die Kinder, Jugendlichen und Eltern nicht nur um menschliche Angehörige trauern, sondern auch ganz stark um Tiere. Manche Erwachsene meinen sogar um ein Tier mehr zu trauern als um einen Menschen. Kinder machen hingegen weniger einen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Sie haben einfach noch nicht diese Bewertung, „das ist ja nur ein Tier“.

Bieten Sie Trauerbegleitung mit Tieren nur für Kinder an?

Nein, wir arbeiten familienorientiert. Bevor die Trauerbegleitung mit Tieren beginnt, gibt es zuerst ein Vorgespräch mit den Eltern, um zu erfahren, was ist eigentlich los, was gibt es für Probleme, was gibt es an Unterstützung, was läuft gut bei ihnen et cetera. Als nächstes kommen sie dann mit ihrem Kind zu uns. Entweder arbeiten wir mit dem Kind und den Eltern zusammen oder getrennt, je nachdem was ansteht. Die Jugendlichen kommen in der Regel ohne ihre Eltern. Für sie gibt es eine Gruppe, die sich alle zwei Wochen trifft. Für die jungen Erwachsenen bis 28 Jahre haben wir ebenfalls ein Gruppenangebot. Bei den kleineren ist das so, dass wir einmal im Monat eine Kindergruppe haben und parallel findet die Elterngruppe statt. Man trifft sich dann über mehrere Stunden, auch zum gemeinsamen Mittagessen. Und natürlich können die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch jederzeit einzeln zu uns kommen.

Wie funktioniert die Trauerbegleitung mit Tieren?

Die Familien wissen zwar, dass es keine Therapie ist, aber trotzdem kostet es sie Mut, zu uns zu kommen. Deshalb setze ich meine Hündin von Anfang an ein, um die Hemmschwelle zu überwinden. Mit ihr hole ich die Familie vom Tor ab: Durch die freundliche Begrüßung meiner Hündin geht gleich das Herz auf. Die Kinder freuen sich dann, wenn sie meine Hündin an der Leine führen können und mit ihr die Räume erkunden. Drinnen arbeiten wir beispielsweise mit verschiedenen Figuren und Symbolen. Der Hund ist einfach dabei und kuschelt sich an, das hilft den Kindern sich wohlzufühlen und eine Vertrauensbasis aufzubauen. Das ist wichtig, denn sonst öffnen sich die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen nicht. Diejenigen, die sich nicht so gut auf der sprachlichen Ebene öffnen können, finden dann Trost, wenn sie die Tiere streicheln oder draußen mit ihnen Spaß haben. Bei dem Hof ist auch ein Wald, den wir viel nutzen, um gemeinsam in der Natur zu sein: Stöckchen schmeißen, über Bäche springen und Ähnliches. So kann man die Stimmung ein bisschen aufheitern. Manche müssen einfach mal weg von Zuhause und aus der traurigen Situation herauskommen. Also wir schauen immer, was braucht derjenige gerade, was tut ihm gut.

Davon hängt wahrscheinlich auch ab, ob das Thema angesprochen wird oder nicht?

Genau. Wir wollen das nicht aus der Nase ziehen. Wir erzählen, dass noch andere Kinder kommen, die haben etwas ganz Ähnliches erlebt, denen ist auch der Vater verstorben oder eben die Katze. Wir machen klar: Du bist nicht alleine und hier ist Raum für dich, wir machen, was du gerne möchtest und was dir gut tut.

Gibt es Unterschiede zwischen der Trauerbegleitung für Kinder und der für Erwachsene?

Bei Kindern setzen wir viel Erinnerungsarbeit ein und da gibt es einen Unterschied zu den Erwachsenen. Wenn man bei Kindern Erinnerungen an das verstorbene Tier oder den Menschen wachruft, läuft das über die guten Gefühle. Es gibt Geschichten, die man lesen kann, oder wir suchen im Wald Dinge, die an den Verstorbenen erinnern. Die Kinder können dann wieder Freude erleben und über lustige Situationen lachen, die sie mit der Person oder dem Tier verbinden. Ein Kind hat zum Beispiel erzählt, dass der verstorbene Bruder immer Quatsch gemacht hat und die Unterhose über die Jogginghose anzog. Dann lachen die Kinder noch einmal. Das fällt Erwachsenen schwerer. Die gehen meist mehr in den Schmerz rein.

Gibt es noch weitere Unterschiede zwischen trauernden Erwachsenen und Kindern?

Je älter der Mensch ist, der zu uns kommt, umso größer ist in der Regel deren Gesprächsbedarf. Wir schauen allerdings immer, dass wir trotzdem nicht nur reden, sondern auch eben auf der Herzensebene bleiben, indem wir mit ihnen zu den Tieren gehen, mit Kunst arbeiten, in der Natur sind. Erwachsene wollen das immer gerne, aber im Nachhinein tut es ihnen gar nicht so gut, wenn sie nur gesprochen haben. Kinder wollen zwar auch über die Trauer sprechen, aber nicht so lange. Die hüpfen mehr in ihren Gefühlen. Sie können traurig sein und im nächsten Moment haben sie wieder Lust, etwas Schönes zu tun. Die haben also etwas ganz Gesundes in sich. Wir sagen immer, die Kinder sind für uns die eigentlichen Experten für die Trauer. Die Erwachsenen machen sehr viel mit dem Kopf: Beurteilen sich selber, „ich darf doch nicht lachen oder fröhlich sein“. Wenn man Kinder nicht stört, dann schaffen die immer ein Gleichgewicht zwischen den Gefühlen. Das ist für Erwachsene manchmal schwer verständlich oder befremdlich: Die denken dann: „Ach denen geht es doch ganz gut, die trauern doch gar nicht, die lachen ja oder spielen.“ Dabei ist sämtliche Art von Trauer verarbeiten ganz gesund.

Wie lange dauert eine Trauerbegleitung mit Tieren?

Das ist sehr unterschiedlich. Meist dauert die tiergestützte Trauerbegleitung zwischen einem halben Jahr und zwei Jahren.

Welche Tiere eignen sich für die Trauerbegleitung?

Also ich würde immer behaupten, dass Hunde besonders geeignet sind, aber das sind meine Haupttiere, die ich am besten kenne. Es sind aber auch unsere ältesten Haustiere: Ich wüsste kein Tier, das sich so auf uns Menschen  einstellt und eigentlich alles an uns lesen kann. Es ist der Wahnsinn, was der Hund alles mitbekommt, weil er immer nur auf dieser ganz ehrlichen und authentischen Ebene kommuniziert. Ich denke, wir brauchen die Tiere, weil wir zu verkopft sind. Hunde begegnen uns im Hier und Jetzt, das ist für uns einfach heilsam. Egal, ob man Kind oder Erwachsener ist.

Allerdings weiß ich auch, dass manche Menschen zu Katzen einen ähnlichen Draht haben und dass das bei ihnen genauso stark wirkt. Katzen sind so anschmiegsam, so ehrlich und können sich auf ihre Art auf den Menschen einlassen.

Neu entdeckt habe ich Schafe. Die haben so etwas Liebevolles. Manche sind scheuer, aber wir haben auch Schafe, die immer ganz nah kommen. Die ducken sich richtig an und begleiten einen zum Tor. Kaninchen sind bei den Kindern ebenfalls sehr beliebt.

Wie kann denn die Trauerbegleitung mit Kaninchen aussehen?

Wir haben ein schönes großes Gehege, in das wir manchmal Matten mitnehmen, sodass sich die Kinder zu den Kaninchen legen können. Es gibt bei uns Regeln, wie nicht auf den Armnehmen oder kein Kind darf hinter einem Tier hinterherlaufen. Wir warten also bis die Tiere zu uns kommen. Wenn ein Kaninchen dann auf einem herum hoppelt, ist das meist eine ganz nahe, schöne Erfahrung für die Kinder. Vorher sammeln wir das Lieblingsfutter Löwenzahn. Dann freuen sich die Kaninchen richtig und springen einen an. Das ist für die Kinder schon sehr tröstlich und sie haben dieses Gefühl, ich gebe etwas Gutes und die Tiere fühlen sich wohl.

Wie helfen Tiere bei Trauer?

Sie schaffen es diese Gefühlsebene zu erreichen. Tiere sind ehrlich und authentisch. Sie zeigen sich so wie sind und wie sie sich fühlen. Dadurch fällt es den Kindern und Jugendlichen leichter, sich zu öffnen. Ein Tier begegnet einem vorbehaltlos und da entsteht dann auch ein Gefühl von „ich bin angenommen so wie ich bin“. Das schafft Vertrauen und ist zu mir als Pädagogin eine Brücke. Das Vertrauen überträgt sich nämlich so auch auf mich. Von Tieren bekommt man außerdem eine direkte Reaktion. Zum Beispiel wenn jemand meinen Hund umklammert, würde sie erst einmal auf Abstand gehen, weil sie das nicht mag. Außerdem kommt man über Tiere miteinander ins Gespräch und das kann ebenfalls öffnen, über eigene Gefühle zu sprechen.

Es hat sich auch gezeigt, dass ein positiver Kontakt zu Tieren, Stress, Ängste und Unsicherheiten abbaut und das ist total wichtig. Die Kinder und Jugendlichen haben Stress, weil die Eltern und sie selbst so stark trauern. Bei uns sind vorwiegend Familien, bei denen ein Elternteil verstorben ist. Die sind teilweise in schwierigen Situationen: Denn sie müssen manchmal umziehen, ein Schulwechsel ist nötig und Ähnliches. Da ist es ganz wichtig diesen Stress irgendwie zu reduzieren und das geht über Tiere: über diesen ehrlichen Kontakt und beispielsweise Streicheln.

Außerdem können Tiere für Aufmunterung sorgen, weil es Spaß macht sich mit ihnen zu beschäftigen. Es ist auch wichtig, dass es etwas zu lachen gibt. Kinder fragen die Eltern oft, wann wird es endlich wieder gut? Für die ist das unerträglich lange, weil es ihnen selber immer mehr behagt, zwischen den Gefühlen zu wechseln. Wenn die Erwachsenen so eine lange tiefe Trauer haben, ist das für die Kinder schon heftig: Sie benötigen dann Aufmunterung und einen Ausgleich zu den traurigen Situationen, um einfach einmal abschalten zu können. Bei uns auf dem Hof können sie alles vergessen und etwas Schönes mit der Familie erleben. Dabei helfen die Tiere und die Natur. Das tut natürlich auch den Erwachsenen gut.

Was kostet die Trauerbegleitung mit Tieren?

LAIKA – Trost auf vier Pfoten ist ein Pilotprojekt, das vom Land gefördert wird. Leider läuft die Förderung zum Ende des Jahres aus und wir müssen schauen, wie es weitergeht. Wir bekommen zwar auch Spenden und für die Gruppen nehmen wir einen kleinen Obulus. Also wer etwas zahlen kann, macht es, aber ohne die Förderung würde es nicht funktionieren. Um unsere Angebote auch zukünftig anbieten und weiter entwickeln zu können benötigen wir dringend weitere Spendengelder und eine neue Stiftung, die uns fördert.

Foto: © oben groß: melounix/Adobestock; im Text beide: Ingrid Littmann/LAIKA - Trost auf vier Pfoten