Im dritten Teil unseres Gespräches mit den Tierärztinnen Dr. Jana Dickmann und Melanie Müller geht es um Formen der Unterstützung für tiermedizinisches Personal.
Unsere Interviewserie „Tierärztinnen im Gespräch“ bietet einen Einblick, wie Jana und Melanie sowohl privat als auch beruflich mit den Themen Euthanasie und Trauer umgehen. Wir erhalten einen Eindruck vom Praxisalltag und blicken auf die Herausforderungen, denen sich tiermedizinisches Personal immer wieder aufs Neue stellt.
Formen der Unterstützung für tiermedizinisches Personal
Im dritten und letzten Teil unseres Gespräches mit den Tierärztinnen Dr. Jana Dickmann und Melanie Müller klären wir, wie tiermedizinisches Personal unterstützt werden kann. Neben den professionellen Angeboten, wie beispielsweise der gemeinnützigen Organisation vetivolution, können auch Tierhaltende einen Teil dazu beitragen, dass die Menschen, die sich hingebungsvoll und mit großem Fachwissen um ihre geliebten Tiere kümmern, gesund bleiben und ihren Beruf mit Freude ausüben können.
Ann-Catrin: Jana, eure Aufgabe oder eure Vision bei vetivolution ist ja, dass das Arbeiten in der Tiermedizin nicht mehr gleichbedeutend mit einer Gefährdung der Gesundheit der Tierärztinnen und Tierärzte ist. Wir haben darüber gesprochen, was am meisten zur Belastung des Fachpersonals beiträgt. Wo setzt ihr da konkret an, was sind eure Angebote und wie setzt ihr die um?
Jana: So multifaktoriell wie das Problem ist, so vielfältig sind und müssen natürlich auch die Lösungsansätze sein. Wir fokussieren uns auf die Unterstützung der mentalen Gesundheit und haben immer den Anspruch, lösungsorientiert in die Direkthilfe zu gehen. Unser Hauptprojekt sind im Moment die Supervisionsgruppen, wo sich Studis, aber auch Tierärztinnen, Tierärzte und TFAs in kleinen Gruppen treffen und für ein halbes Jahr psychologisch betreut Lösungsstrategien für eigene Schwierigkeiten im Studiums- oder Arbeitsalltag entwickeln. Das ist ein Format, was bisher sehr gut funktioniert. Zum Einstieg in die Thematik gibt es auch noch Erste Hilfe-Texte auf der Website, die stetig weiter ausgebaut werden und speziell für die Tiermedizin geschrieben sind, um ein paar Denkanstöße zu geben. Wir haben den Podcast, um mit Menschen aus der Branche zu sprechen, nach Lösungsansätzen zu suchen und auch ein bisschen Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Und unter dem Strich sehen wir uns so ein bisschen in der Position zu sagen, wir möchten gerne, dass wir die Institution sein können, wo sich Menschen hinwenden, die im Studium oder im Job Schwierigkeiten mit der mentalen Belastung haben. Und dann sehen wir zu, dass wir relativ konkret Hilfestellung geben können. Das ist unser Hauptfokus.
Ann-Catrin: Was können den Tierhaltende tun, um medizinisches Fachpersonal zu unterstützen? Gibt es etwas, wo ihr euch Unterstützung vorstellen könntet?
Jana: Diese ganze Thematik ist ja bei Tierhaltenden fast gar nicht bekannt. Wenn man das Thema draußen anspricht, dann erntet man immer ganz überraschte Reaktionen dazu, dass es Tierärztinnen oder Tierärzten nicht gut geht. Da herrscht natürlich noch sehr großer Aufklärungsbedarf. Was Tierhaltende definitiv immer tun können, und was eigentlich auch selbstverständlich sein sollte, aber aus Erfahrung oft nicht ist, ist freundlich zu bleiben, gerade wenn es im Notdienst zu Wartezeiten kommt. Ich verstehe, dass man um sein Tier Angst hat und gerne möchte, dass es sofort behandelt wird. Wir können zum Beispiel mit unserer Expertise beurteilen, dass es nur eine Lahmheit ist, die dann erst nach dem Tier mit Autounfall behandelt werden kann.
Für den Tierhaltenden ist aber nicht so klar ersichtlich in der Situation, warum er warten muss, sondern er möchte, dass seinem Tier sofort geholfen wird. In diesem Moment hilft auf jeden Fall, Verständnis aufzubringen, freundlich zu bleiben und darauf zu vertrauen, dass die Einschätzung des Personals schon sinnhaft ist. Der andere große Punkt betrifft das Dilemma, was wir auch schon angesprochen haben: Die finanzielle Absicherung der medizinischen Versorgung der Tiere. Eine Tierkrankenversicherung vereinfacht vieles, denn eine Behandlung wird vor allem im Notdienst teuer und der Gedanke an die Kosten kommt dann noch zu der stressigen Situation einer hochgradigen Erkrankung hinzu.
Ein klassisches Beispiel bei Hunden ist, wenn sie nachts eine Magendrehung haben. Das ist eine lebensbedrohliche Situation, in der sich alle Sorgen um das Tier machen. Und das Letzte, was ich in meiner Position als Ärztin tun möchte, ist Preisverhandlungen zu führen. Und Tierhaltende möchten nicht sagen, dass sie erst einmal schauen müssen, woher sie das Geld nehmen, um ihren Hund zu retten. Das ist eine lose-lose-Situation auf allen Ebenen und noch ein drittes Mal „lose“ für den Hund. Ein Tier zu versichern hilft allen Beteiligten, denn kann können wir direkt behandeln und machen uns später Gedanken um das Finanzielle. Gut ist auch, ein gewisses Vertrauen in die Aussagen des medizinischen Personals zu haben. Klar, eine zweite Meinung ist insbesondere bei komplexen Fällen anzuraten und das gute Recht der Haltenden. Ein Problem entsteht nur, wenn deswegen meine Behandlungsempfehlungen nicht befolgt werden. Denn dann ist nicht klar, ob wir keinen Therapierfolg haben, weil die Behandlung nicht durchgeführt wurde, oder ob wir keinen Behandlungserfolg haben, weil das Tier wirklich nicht darauf anspricht und es vielleicht noch etwas anderes gibt, was wir übersehen haben. Das macht dann viele Dinge schwieriger, und teurer.
Also ja, eine gewisse Compliance hilft auf jeden Fall auch. Und was ich auch immer gerne empfehle ist, sich eine gewisse Grundbildung darüber anzueignen, was eigentlich ein Notfall ist. Zum Vergleich: Eltern müssen auch wissen, ab wann das Fieber ihres Kindes gefährlich wird und sie in die Klinik fahren müssen. Und genauso sehe ich das bei Tieren auch. Wenn mein Kater seit gestern überhaupt nicht gepinkelt oder mein Hund seit heute blutigen Durchfall hat, muss ich einschätzen können, ob ich damit heute zum (Not-)Arzt muss, oder ob es bis morgen warten kann. Wenn mir die Beurteilung als Laie schwer fällt, kann ich auch Informationsmaterial hinzuziehen, zum Beispiel Entscheidungsbäume. Sich mit der Thematik frühzeitig und bevor sie eintritt zu beschäftigen, hilft sicherlich auch.
Melanie: Für diese Grundbildung zum Thema Notfall haben wir bei AGILA eine wundervolle Checkliste! Ich möchte aber noch einmal auf Thema Compliance eingehen: Ich habe es einmal so formuliert, dass man sich und die Tierärztin oder den Tierarzt ein bisschen als „Partner in Crime“ und als Team sehen könnte.
Als Tierärztin habe ich mich manchmal als Gegnerin gefühlt, als Debattierkonterpart – und eigentlich wäre es doch viel besser, die Behandlung des Tieres partnerschaftlich anzugehen. Und: Eine Tierärztin oder ein Tierarzt muss auch kritikfähig sein, denn es ist klar, dass es auch Sachen gibt, die einfach nicht klappen, vor allem, wenn die Ansprüche ein bisschen realitätsfremd sind. Denn wenn ich als Tierhalterin weiß, dass meine Katze niemals eine Tablette schlucken wird, die Tierärztin oder der Tierarzt aber trotz meines Einwandes dreimal täglich die Gabe einer riesigen Kapsel verordnet, dann komme ich mir auch ein bisschen veralbert vor. Und aus dieser Anti-Haltung heraus ist es schwierig, auf die Tierärztin oder den Tierarzt zuzugehen und zu sagen, dass ich es versucht habe, es aber echt nicht klappt, und ob wir irgendwas anderes machen können, weil es dem Tier ja sonst auch nicht besser geht. Der Kanal muss in beide Richtungen weit geöffnet sein. Und ich glaube, dazu können auch Tierärztinnen oder Tierärzte beitragen, indem sie für Feedback offen sind. Andersherum gilt aber auch, dass das Feedback konstruktiv und nicht mit Doktor Google unterfüttert sein sollte, der gesagt hat, dass mein Tier das Medikament gar nicht braucht ich es deswegen jetzt seit drei Tagen weggelassen habe – mich dann aber wundere, warum der Zustand wieder schlechter geworden ist. Oder ich habe nochmal mit Kollege X gesprochen, ohne das vorher anzukündigen. Also im Prinzip gilt, wie Jana sagt: Fast alles ist erlaubt, aber bitte mit Rücksprache, und auch wenn es teilweise langwierig sein kann, ist es besser, als einfach irgendwas auszuprobieren. Es ist wichtig, der Tierärztin oder dem Tierarzt zu vertrauen – und wenn man kein Vertrauen zu seiner Tierarztpraxis aufbauen kann, ist es vielleicht auch einfach nicht die richtige Praxis und Zeit, zu wechseln.
Ann-Catrin: Ich könnte mir vorstellen, dass Vieles, was Tierhaltende selbstständig machen, zum Teil auch kontraproduktiv zum Behandlungsplan der Praxis ist. Das ist ihnen vielleicht gar nicht bewusst, weil sie nur die Symptome gegoogelt haben. Und wenn die Tierärztin oder der Tierarzt die Lage dann ganz anders einschätzt, ist es eventuell gar nicht so leicht, die selbst gestellte Diagnose loszulassen und der ärztlichen Expertise zu vertrauen.
Jana, von welchen Seiten könnte vetivolution denn noch Unterstützung bekommen?
Jana: Also wir sehen natürlich auch ein großes Potential für präventive Arbeit, auch bei den Studis. Weil es da noch ganz viele Möglichkeiten gibt, Schaden zu verhindern und dem Thema gegenüber eine große Offenheit herrscht. Die Generation, die jetzt kommt, hat sowieso eine viel größere psychologische Vorbildung als wir oder unsere Elterngeneration. Da fällt unsere Arbeit auf sehr fruchtbaren Boden, weswegen wir uns auf jeden Fall wünschen, enger mit Unis zusammenzuarbeiten – und das kommt auch demnächst. Zusätzlich sehe ich auch Arbeitgebende noch ein bisschen mehr in der Pflicht, proaktiv für ihre Mitarbeitenden vorzusorgen, bevor sie irgendwann zwangsläufig mit diesen Themen konfrontiert werden. Und ehrlich gesagt: Das Schöne an der vetivolution-Arbeit ist im Moment, dass wir viel mit solchen Positivbeispielen in Kontakt kommen und sehen, wo schon Dinge getan werden.
Wir freuen uns über Unterstützung von jedem einzelnen Menschen: Sprecht einfach über vetivolution und erzählt weiter, was wir machen: an Chefinnen und Chefs, an Kommilitoninnen und Kommilitonen, vor allem natürlich im Kollegium und insbesondere auch den TFA, denn mit diesen kommen wir nicht so einfach in Kontakt. Das sind alles Unterstützungsmöglichkeiten, bei denen wir einen großen Impact sehen.
Ann-Catrin: Ich habe gelesen, dass in den USA an einigen Orten bereits ins Studium Psychologinnen und Psychologen einbezogen werden. Wenn ich euch jetzt richtig verstanden habe, ist das etwas, was bei der Humanmedizin zum Teil auch schon passiert. Haltet ihr so etwas an deutschen Unis im Bereich Tiermedizin für sinnvoll?
Jana: Ja definitiv. Die Frage ist ja so ein bisschen zweigeteilt: Um akute persönliche Probleme aufzufangen, gibt es an allen oder fast allen Unis Beratungsstellen, die meines Wissens nach auch gut genutzt werden. Aber das andere ist natürlich die inhaltliche psychologische Unterstützung und die Lehrinhalte. Und da besteht definitiv Bedarf. Melanie hat ja vorhin schon angesprochen, dass die Anzahl der Kurse zunimmt, aber da darf und muss mehr kommen. Wobei ich das nicht nur auf die Uni beschränken würde, denn bei der Arbeit in der Klinik oder in der Praxis ist diese Unterstützung definitiv auch hilfreich. Auch die bereits erwähnten Fortbildungen machen für jeden Kliniker Sinn.
Aus der Humanmedizin kennen wir zum Teil das Konzept, in den Kliniken unterstützendes Personal vor Ort zu haben. Gerade in den onkologischen Abteilungen ist es häufig so, dass dort Psychologinnen, Psychologen oder Sozialarbeitende beschäftigt sind, die bei der Mitteilung schwieriger Nachrichten helfen. In Amerika gibt es eine Zwischenstufe der Ausbildung der Pflegefachkräfte, die dafür da sind, mit den Patientinnen und Patienten Gespräche zu führen, in denen sie auf emotionaler Ebene abgeholt werden, weil die Ärztin oder der Arzt vorrangig mit der medizinischen Seite beschäftigt ist und vielleicht die Diagnose erklärt.
Persönlich habe ich aber in Praxen und Kliniken noch nicht erlebt, dass so etwas umgesetzt wird und wirklich jemand da ist, der speziell diese Aufgabe übernimmt. Inhaltlich und konzeptionell ist der Einbezug von Psychologinnen und Psychologen in meinen Augen absolut sinnvoll und ich weiß auch, dass es amerikanische Unis gibt, an denen das schon probiert wurde.
Ann-Catrin: Wie so Vieles ist aber auch diese zusätzliche Ausbildung oder Qualifikation sicherlich an die finanziellen Mittel gebunden – weswegen aktuell eure Arbeit umso wichtiger ist, die einen so großen Beitrag leistet, die mentale Gesundheit in der Tiermedizin zu verbessern.
Ich danke euch beiden für dieses emotionale und wichtige Gespräch!
Vorstellung der Gesprächsrunde
Dr. Jana Dickmann hat gemeinsam mit Dr. Karim Montasser vetivolution gegründet, eine gemeinnützige Organisation, die sich für tiermedizinisches Personal einsetzt und vor allem auch deren mentale Gesundheit in den Fokus stellt. Durch die große Bandbreite ihrer Erfahrungen in Studium und Beruf, aber auch im Privaten und natürlich in ihrem Wirken bei vetivolution, hat Jana umfassende Kenntnisse über die realen Zustände in der Tiermedizin und weiß, wo Unterstützung dringend benötigt wird.
Melanie Müller ist approbierte Tierärztin mit knapp drei Jahren Praxiserfahrung und seit 2019 bei AGILA tätig. Als Expertin ist sie nicht nur Ansprechpartnerin für die tiermedizinischen Fragen, sondern hatte auch die Vision, einen Tiergesundheitsbereich aufzubauen, der Wissen schafft, Tierhaltenden ermöglicht, sich fundiert zu informieren, und Präventionsarbeit durch Aufklärung leistet. Ihr Tätigkeitsfeld ermöglicht ihr Einblicke in viele verschiedene Bereiche der Tiermedizin und ihr Wunsch ist es, durch gezielte Kommunikation dieses Wissen zum Wohl der Vier- und Zweibeiner einzusetzen.
Ann-Catrin Büttner ist Redakteurin bei AGILA und hat keinen tiermedizinischen Hintergrund. Sie hat sich vor einiger Zeit für einen Artikel mit dem Thema Trauer auseinandergesetzt und begann sich zu fragen, wie es eigentlich für tiermedizinisches Personal ist, täglich mit Krankheit und Entscheidungen über Leben und Tod umzugehen. Daraus entstand die Idee für dieses Gespräch, in welches auch ihre eigenen Erfahrungen zum Thema mit eingeflossen sind.